Von der Flexibilität zur Präzision: Planung für agile Teams
Tobias Sachon
Tobias Sachon

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Lesedauer: 7 Minuten

Von der Flexibilität zur Präzision

Planung für agile Teams


Wie spontan können wir wirklich sein, ohne ins Chaos zu stürzen? Agilität bedeutet nicht, planlos zu arbeiten. Aber wie viel Struktur ist zu viel? Wie behalten wir den Überblick, wenn sich ständig alles ändert? Und welche Ansätze können dabei helfen?

Der Begriff der Agilität hat in den letzten Jahren einen beispiellosen Aufschwung erlebt. Doch agil ist nicht gleich agil! Es gibt leider immer noch den Irrglauben, Agilität bedeute, ohne jegliches Konzept oder Plan starten zu können. Es wird angenommen, dass alle Teammitglieder autonom und unabhängig voneinander arbeiten können, ohne dass eine koordinierte Strategie erforderlich ist. Hier konnte ich tatsächlich aus der Praxis den Trugschluss beobachten, dass man einfach darauf loslegen kann und sich alles auf magische Weise selbst regelt, weil man „agil“ ist. Gleichzeitig sind vor allem in konservativen Unternehmen oft harte Deadlines mit einem fest definierten Funktionsumfang verknüpft. Hier ist generell kritisch zu hinterfragen, ob ein agiler Ansatz überhaupt den gewünschten Mehrwert bietet oder den Koordinationsaufwand sogar unnötig erhöht. Denn auch unter Projektbedingungen, die für agile Arbeit prädestiniert sind, löst sich der Planungsbedarf nicht auf. Oft ist der Aufwand sogar höher als in nicht agilen Projekten, was in der Natur der Sache liegt: Ständig muss neu auf veränderte Bedingungen reagiert werden.

Freestyle vs. Planungswahn

Es is wichtig, eine realistische Planung vorzuweisen, um frühzeitig die Nichteinhaltung von Deadlines zu erkennen, transparent zu machen und darauf adäquat zu reagieren. Wird dies nicht gemacht, können Überstunden oder eine drastische Einsparung an der Qualität die Folgen sein, was normalerweise nur im absoluten Notfall eine Option darstellen sollte. Gibt es keinen gemeinsam koordinierten Plan, fühlen sich Teams schnell ermutigt, sich auf ihre individuellen Fähigkeiten zu verlassen, anstatt eine gemeinsame Vision zu verfolgen. Hier ist Achtung geboten, da kollektives Verantwortungsbewusstsein im Team auch in Unproduktivität enden kann. Jede Person macht dann, was sie gerade für richtig hält, was planlosen Aktionismus bedeutet. 

Auf der anderen Seite des Spektrums verharren manche Teams zu lange in der Planungsphase, indem jede Einzelheit – wie beispielsweise beim Wasserfallmodell – bis ins kleinste Detail geplant werden muss, bevor überhaupt mit der Umsetzung begonnen wird. Lasten- und Pflichtenhefte werden erstellt und Diskussionen über jedes mögliche Szenario geführt. Aber dennoch treten unerwartete Probleme auf, die erst bei der Implementierung sichtbar werden. Mit einer zu akribischen Detailplanung kann darauf nur schlecht reagiert werden, wodurch die Gefahr besteht, eine Lösung zu entwickeln, die am Ende keinen mehr interessiert. Das kostet viel Zeit und verbrennt Unmengen an Ressourcen. 

Aber woran erkennt ein Team überhaupt, ob es Optimierung bei der Planung benötigt? Das ist tatsächlich nicht so einfach zu beantworten, da dies stark an die generellen Erwartungen an das Team geknüpft ist. Einige Anzeichen können jedoch sein:

Verpasste Deadlines
Häufige Verzögerungen deuten auf unzureichende Planung und Priorisierung hin.

Qualitätsprobleme
Mangelnde Qualität kann ein Zeichen für überstürzte Arbeit ohne ausreichende Planung sein.

Unklare Vision
Das Team kann nicht sagen, was die genaue Vision ist, und kann keine aussagekräftigen Ziele identifizieren oder kann diese nicht vertreten.

Unklare Prioritäten
Wenn Teammitglieder nicht wissen, woran sie arbeiten sollen und warum genau an dieser Aufgabe, fehlt es an klaren Prioritäten in der Planung.

Häufiger Fokuswechsel
Es ist keine logische oder klare Abfolge von Aufgaben ersichtlich oder es wird nicht richtig kommuniziert.

Stress und Überlastung
Wenn Teammitglieder regelmäßig überlastet sind, könnte es an einer schlechten Planung liegen. 

Zwei Personen sitzen vor einem Computerbildschirm und betrachten ein Datenvisualisierungstool. Eine Person zeigt auf den Bildschirm, während die andere zuschaut. Die Szene findet in einem modernen Büro statt und vermittelt einen konzentrierten und analytischen Arbeitsprozess.

Und wie findet man nun das richtige Maß zwischen planlosem Aktionismus und akribischer Detailplanung? Hier sind einige Ansätze, die helfen können: 

1. Die richtige Teamkonstellation

Dieser Punkt klingt vermeintlich banal, ist jedoch essenziell für den Projekterfolg und nicht immer einfach zu erreichen. Wird beispielsweise ein Team aus Personen mit keiner bis zweijähriger Berufserfahrung in der Erwartung zusammengestellt, dass diese zusammen ein komplexes Softwareprojekt wuppen, wird das nicht funktionieren. Das ist dabei dann aber keinesfalls die Schuld der Entwickler:innen, sondern schlichtweg ein Fehler im Staffing, denn: Benötigte Kompetenzen sollten zunächst gründlich erhoben und dann möglichst smart besetzt werden. Dies gilt für technische als auch für fachliche personelle Anforderungen. Dabei ist gerade in der Agilität die Harmonie der Teamzusammenstellung wichtig, da hier die Verantwortung auf das Kollektiv des Teams abgegeben wird.

Eine schlechte Besetzung kann auf einen Mangel an spezialisierten Kräften zurückgeführt werden, aber eben auch auf erhebliche Unwissenheit. Denn die Fähigkeiten der leitenden Rolle, des Product Owners oder Projektmanagers spielen dabei eine wesentliche Rolle.

Fehlen den Schlüsselrollen selbst die nötigen Kompetenzen, ist das Projekt durch die Folgen meist gesamtheitlich zum Scheitern verurteilt. Es besteht ein hohes Risiko für schlechte Personalentscheidungen, fehlenden oder falschen Fokus und insgesamt schlechte oder auch gar keine Entscheidungen, wenn diese zwingend notwendig sind.

2. Gezielte Exploration

Aktionismus ohne wirklichen Plan ist Zeit- und Geldverschwendung. In bestimmten Situationen kann es dem Projekt jedoch einen Boost geben, wenn einfach mal darauf losgelegt und ausprobiert wird. So können Probleme greifbar gemacht und realistische Diskussionen gefördert werden. Dies sollte jedoch gezielt, in einem klar definierten Rahmen und in enger Absprache mit dem Projektteam erfolgen. Gerade zu Beginn von Projekten mit unscharfem Zielbild können Entwickler so direkt mitwirken und durch gezielte Exploration einen wichtigen Beitrag für die gesamtheitliche Konzeption und Machbarkeit leisten. #realitycheck

3. Fokus auf kontinuierliche Planung und Konzeption

Die Planung inklusive Anforderungsanalyse und Konzeption ist einer der Punkte, die nicht auf das Kollektiv des Teams abgelegt werden sollten. Hier wird eine Person benötigt, die Verantwortung übernimmt und das Projekt in die richtige Richtung lenkt. Dies obliegt meist dem Product Owner (PO). In der Praxis ist jedoch oft zu beobachten, dass POs durch viele Abstimmungs-Meetings geblockt werden und dadurch wenig Zeit haben oder aber die Expertise für die Konzeption fehlt.
Hier ist Achtung geboten: Für Planung darf es keine Ausreden geben! Bei BettercallPaul hat sich die Rolle des Product Owner Proxy etabliert. Dieser unterstützt den, meist vom Kunden gestellten, Product Owner in enger Absprache und kann sich darauf konzentrieren, eine Roadmap zu erstellen und sicherzustellen, dass genügend „Plan“ und dessen Dokumentation vorhanden ist. 

Bei der Anforderungsanalyse ist es vor allem die Kunst, die „richtigen“ Fragen zu stellen und auch zwischen den Zeilen zu lesen, da die eigentlichen Probleme meist tief vergraben liegen. So ist es schnell passiert, dass das Abbilden von bereits vorhandenen Prozessen nicht den gewünschten Mehrwert liefert. Das gilt ebenfalls für die technische Komponente, wobei sichergestellt werden muss, dass die Architektur adäquat konzipiert ist und damit die Umsetzung trägt. Dies funktioniert allerdings auch nur, wenn die nötigen Kompetenzen in diesem Team vorhanden sind. Auch hier gilt: Kann dies das Kollektiv des Teams nicht leisten, kann über die dedizierte Rolle eines Architekten nachgedacht werden. Wichtig ist in jedem Fall der regelmäßige Austausch mit dem Team – das Ziel: keine Elfenbeinturm-Lösungen!

4. Vom Groben zum Feinen

Startet mit einem groben Plan und überlegt, ob dieser ausreicht, um mit der Umsetzung zu beginnen. Stellt die Frage, ob bereits ein Minimal Viable Product (MVP) identifiziert werden kann, das einen Mehrwert im Endprodukt bietet. Das Ziel ist hierbei, dem Endanwender regelmäßig überprüfbare Inkremente zu liefern und dadurch nicht Gefahr zu laufen, lange an der falschen Lösung zu feilen. Der Plan sollte flexibel genug sein, um sich an Veränderungen anzupassen, aber gleichzeitig ausreichend strukturiert, um Orientierung zu bieten. Hilfreich ist dabei eine Roadmap, die einen Plan auf hoher Ebene mit wichtige Zwischenzielen skizziert. Details und spezifische Aufgaben werden kurz vor oder während der Iteration geplant, basierend auf aktuellem Feedback und Erkenntnissen. Legt Wert auf funktionale Anforderungen und arbeitet von Beginn an mit realistischen Datenmengen! 

5. Kontinuierliches Feedback

Das Feedback des Teams und der Stakeholder ist entscheidend, um sicherzustellen, dass der Plan den Anforderungen und Zielen des Projekts entspricht. Regelmäßige Reviews, Kundenfeedback und Retrospektiven sind unerlässlich, um den Fortschritt zu überprüfen, Verbesserungspotenziale zu identifizieren und auf Veränderungen zu reagieren. 

Letztendlich liegt die Kunst darin, die richtige Balance zwischen chaotischem Aktionismus und akribischer Detailplanung zu finden, welche auf die spezifischen Anforderungen und Herausforderungen des Projekts zugeschnitten ist. Es erfordert ein ausgewogenes Verständnis für die Dynamik des Teams, die Komplexität des Projekts und die Flexibilität, sich den Gegebenheiten anzupassen. Indem diese Balance gefunden wird, kann der Weg zum Erfolg geebnet und das Beste aus beiden Welten vereint werden.


Über den Autor

Tobias Sachon ist Senior Software Engineer bei BettercallPaul in Stuttgart und entwickelt kundenspezifische Software für internationale Unternehmen. Sein Schwerpunkt liegt auf der Architektur sowie der Entwicklung von Systemen für maschinelles Lernen. Er hat eine Leidenschaft für funktionale Programmierung und setzt diese gerne in seiner täglichen Arbeit ein.